03.09.2020
Mona Meienberg, Child Rights Advocacy, UNICEF Schweiz und Liechtenstein
Der Miteinbezug von Kindern und Jugendlichen bedeutet, Kinderrechte umzusetzen und die Gemeinschaft als Ganzes zu stärken – eine Win-win-Situation
Den Gemeinden kommt in der föderalistischen Schweiz dabei eine besondere Bedeutung zu: Als direktes Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen stehen sie in der Verantwortung, ihnen ihre partizipatorischen Rechte zukommen zu lassen. Davon profitieren nicht nur die Kinder selbst, denn als aktive Mitglieder der Gesellschaft gestalten Kinder und Jugendliche diese massgeblich mit. UNICEF bietet den Gemeinden mit der Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde» ein Instrument, mit welchem sich eine Partizipationskultur auf kommunaler Ebene verankern lässt.
Partizipation verstehen
Das Partizipationsrecht von Kindern und Jugendlichen lässt sich direkt von der UN-Konvention über die Rechte des Kindes, kurz Kinderrechtskonvention, ableiten. Sie wurde 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedet und 1997 von der Schweiz ratifiziert.
Eines der vier Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention ist das Recht, angehört, beteiligt und informiert zu werden. Eine Reihe partizipatorischer Rechte rund um Artikel 12 der Kinderrechtskonvention gestehen Kindern und Jugendlichen ein umfassendes Mitwirkungsrecht zu. Doch was bedeutet es überhaupt zu partizipieren?
Zurecht sprechen Oser und Biedermann (2006) im Zusammenhang mit Partizipation von einem «Meister der Verwirrung». So haben alle ein anderes Verständnis von Partizipation und oftmals auch eine unterschiedliche Auffassung davon. Während die Partizipationsleiter von Roger Hart (1992) ein grosses Spektrum von Fremdbestimmung über Teilhabe bis hin zur Selbstverwaltung aufzeigt, wird unter dem Begriff der Partizipation gerade in der Anwendung oftmals lediglich das Einholen von Meinungen verstanden.
Da auch das Partizipationsbedürfnis von Kindern und Jugendlichen unterschiedlich ist, ist es wichtig, dass verschiedene Partizipationsformen und -gefässe bestehen. Während manche Kinder vor allem informiert werden möchten, wollen andere Kinder sich aktiv beteiligen und Prozesse mitgestalten oder sogar selbst verwalten. Des Weiteren beanspruchen manche Kinder ihre Meinungen und Bedürfnisse in einem institutionalisierten Rahmen, wie beispielsweise einem Kinder- oder Jugendparlament, anzubringen. Wieder andere Kinder ziehen es vor, sich anonym einzubringen.
Partizipation umsetzen und leben
Der rechtliche Rahmen ist gesetzt. Staaten, welche die Kinderrechtskonvention ratifiziert haben, sind verpflichtet, diese umzusetzen. Und somit auch die Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Wenn man aber Kinder und Jugendliche befragt, sieht die Realität anders aus. UNICEF Studien wie beispielsweise «Von der Stimmung zur Wirkung» (2014) und auch die abschliessenden Bemerkungen des UN- Kinderrechtsausschusses von 2015 machen deutlich: in der Familie kann sich die Mehrheit der Kinder zu bestimmten Themen und Herausforderungen äussern, mitbestimmen und mitgestalten.
Anders sieht es jedoch aus, sobald das Kind im öffentlichen Raum auftritt. Gegenüber der Gemeinde haben Kinder und Jugendliche kaum Möglichkeiten, ihre Stimme zu erheben. Auch im schulischen Bereich besteht bezüglich der systematischen Partizipation noch Entwicklungspotential. Kinder verbringen einen Grossteil der Zeit in pädagogischen Institutionen. Entsprechend kommt den Schulen eine grosse Verantwortung in Bezug auf die Partizipation zu.
Diverse Gründe wie der personelle Aufwand, finanzielle Hürden, fehlendes Know-how oder kein ersichtlicher Nutzen führen dazu, dass Kinder und Jugendliche kaum Gestaltungsspielräume in unserer Gesellschaft erhalten. Kinder entwickeln, sozialisieren, integrieren und identifizieren sich aber über Räume und Projekte, von denen sie ein aktiver Teil sind. «Teil sein» sollen alle innerhalb der Gemeinschaft, ganz gleich ob Kinder, Seniorinnen und Senioren, Personen mit Beeinträchtigungen oder Migrationshintergrund. Nur so kann eine Kultur des Verständnisses, des Miteinanders und der Mitbestimmung entstehen.
Kinder als eigenständige Individuen und Rechtsträger sind aber darauf angewiesen, dass Erwachsene ihnen Zugänge und Gefässe schaffen. Zentral ist dabei, die Kinder und Jugendlichen in ihrer eignen Lebenswelt und mit ihrer Sprache zu erreichen. Eine Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten aber auch Gefahren für Kinder und Jugendliche im digitalen Raum, den öffentlichen Räumen aus Kindersicht oder mit der Meinung von Kindern und Jugendlichen sind unumgänglich.
Gemeinden von zentraler Bedeutung
Kinder und Jugendliche leben in den Gemeinden. Diese bilden ihr direktes Lebensumfeld, in dem sie heranwachsen und sich entwickeln. Entsprechend wichtig ist es, dass Angebote und Massnahmen zum Schutz, zur Förderung und zum Miteinbezug von Kindern auf lokaler Ebene vorhanden sind. Das Mitwirkungsrecht lässt sich nicht nur direkt von der Kinderrechtskonvention ableiten, sondern schafft auch eine stärkere Identifikation mit der Gemeinde. Wer in einer bestimmten Sache angehört und involviert wird, setzt sich in der Regel auch stärker dafür ein und identifiziert sich in der Folge auch stärker damit.
Darüber hinaus wirkt sich die Partizipation von Kindern und Jugendlichen positiv auf deren Persönlichkeitsentwicklung aus. Kinder, die erleben, dass ihre Meinung erwünscht und auch berücksichtigt wird, entwickeln ein stärkeres Selbstbewusstsein. Sie erhalten dadurch eine bessere Ausgangslage, zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft heranzuwachsen, die für ihre Rechte einstehen können.
Der Miteinbezug von Kindern und Jugendlichen stärkte diese nicht nur, sondern es ergeben sich daraus auch Mehrwerte für die Gemeinde als Ganzes. In der föderalistisch organisierten Schweiz sehen sich gerade kleinere Gemeinden, welche im Milizsystem funktionieren, in Bezug auf die politische Nachwuchsförderung mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Kinder und Jugendliche zu befähigen und für die Politik zu begeistern bedeutet nicht nur, ihnen ihre Rechte zu zustehen, sondern kann auch dem Problem der Nachwuchsrekrutierung entgegenzuwirken.
UNICEF Initiative «Kinderfreundliche Gemeinden»
Um
Gemeinden bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention auf lokaler
Ebene zu unterstützen und dabei einen starken Fokus auf die
Partizipation von Kindern und Jugendlichen zu legen, hat UNICEF die Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde»
entwickelt. Die Initiative hat die systematische Umsetzung der
Kinderrechtskonvention mithilfe eines standardisierten Prozesses auf
kommunaler Ebene zum Ziel.
Der Miteinbezug von Kindern und Jugendlichen ist ein verbindlicher Prozessschritt der Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde». Eine Kinder- und Jugendpolitik auf Gemeindeebene ohne den aktiven Einbezug der Zielgruppe ist undenkbar. Im Rahmen der Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde» konnten direkt durch Workshops sowie indirekt mit Hilfe von Massnahmen zugunsten von Kindern und Jugendlichen bisher rund zehn Prozent aller Schweizer Kinder und Jugendlichen erreicht werden.
Da nicht alle Gemeinden Erfahrung mit der Partizipation von Kindern und Jugendlichen haben, ermöglichen verschiedene Förderfonds den Aufbau von Expertise in diesem Bereich sowie die Durchführung besagter Workshops. Während der Förderfonds von ALDI SUISSE die Planung und Durchführung von Workshops mitfinanziert, ermöglicht der Gemeindefonds der Stiftung Mercator Schweiz den Ausbau von Expertise und partizipativen Strukturen in den Gemeinden. Darüber hinaus besteht für eine Gemeinde über den Gemeindefonds auch die grundsätzliche Möglichkeit, Mittel für den Einstieg in den Prozess der «Kinderfreundlichen Gemeinden» zu erhalten.
Weitere Informationen zur Initiative «Kinderfreundliche Gemeinde» finden Sie unter www.kinderfreundlichegemeinde.ch oder per Mail an kfgncfch
Kontakt
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Tel.: 031 380 70 00
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