Ein Projekt des Schweizerischen Gemeindeverbands.
Un projet de l’Association des Communes Suisses.
Un progetto dell’Associazione dei Comuni Svizzeri.

Ein neuer Ast für den Demokratiebaum

23.01.2020

Ein neuer Ast für den Demokratiebaum

Jasmin Odermatt, Dachverband Schweizer Jugendparlamente (DSJ)

Civic… what? Auch ich habe erst einmal erstaunt geguckt, als ich auf den Einsatz von Civic Technology – kurz Civic Tech – aufmerksam gemacht wurde. In der öffentlichen Debatte ist bisher lediglich die digitale Stimmabgabe, also E-Voting, angekommen. Derzeit sind aber alle E-Voting-Systeme in der Schweiz auf Eis gelegt. Wo am Schweizer Demokratiebaum sind also Civic Tech-Instrumente zu verordnen? Und welche Mittel kommen konkret zum Zug? Eines vorweg: Die Vielfalt an Civic Tech-Tools ist gross und deren Existenz oft weitgehend unbekannt.


digitale mittel


Bei Civic Tech handelt es sich um den Einsatz von digitalen Mitteln, die zur Verbesserung des Einbezugs der Bevölkerung dienen sollen. Konkret können sich so Bürgerinnen und Bürger besser in politische Planungs- und Entscheidungsprozesse einbringen. Das heisst also, dass die Bevölkerung beispielsweise bereits beim Sammeln von Ideen miteinbezogen werden kann und nicht erst bei der Ja-Nein-Entscheidung an der Urne. Civic Tech-Instrumente ermöglichen die direkte Kommunikation mit politischen Amtsträgern, die Mitarbeit an Gesetzesentwürfen und vieles mehr. Das fördert die Mitsprache aller – doch zu den Auswirkungen später mehr. 

Weltweit befindet sich die Civic Tech-Szene in einer rasanten Entwicklung. Estland ist das Vorzeigebeispiel einer digitalen Nation schlechthin. In Taiwan reichen Bürgerinnen und Bürger Petitionen online ein, in Island wird auf digitalem Weg über die Verwendung von Bürgerbudgets (sogenannt Participatory Budgeting) bestimmt. Und was ist mit der Schweiz? In der Schweiz hinkt der Civic Tech-Bereich im Vergleich zum Ausland noch hinterher. Es gibt lediglich eine geringe Anzahl wenig bekannter Initiativen, die Civic Tech-Instrumente nutzen. Digitale Tools werden etwa bei Umfragen sowie bei der Raum- und Stadtentwicklung eingesetzt. Auch in politischer Hinsicht werden Potenzial und Risiken des Civic Tech-Bereichs erst schrittweise angegangen, wie anhand von E-Voting erkennbar ist. Derzeit erarbeitet der Bundesrat als Antwort auf ein entsprechendes Postulat von Ständerat Damian Müller einen Bericht zu den Chancen von Civic Tech. In diesem nimmt er die digitale Weiterentwicklung von bestehenden Formen der politischen Partizipation unter die Lupe. Es zeichnet sich also ab, dass Chancen und Risiken von Civic Tech Gegenstand einer grösseren Diskussion sein werden.

Bottom-up-Kommunikation

Weshalb weckt der Einsatz von Civic Tech so grosse Hoffnungen? Die politische Kommunikation hat sich durch die Digitalisierung grundlegend geändert. Heute ist eine stete Interaktion zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen möglich. Politische Kommunikation wird, nicht mehr wie einst nur top-down, sondern vermehrt auch bottom-up initiiert. Das heisst, Bürgerinnen und Bürger können sich proaktiv in die politische Diskussion miteinbringen. Mehr Mitsprachemöglichkeiten für alle führen zu breiter abgestützten Entscheiden. Der Schweizer Demokratiebaum wächst. Während Äste der herkömmlichen Mittel politischer Teilhabe – wie die Unterschriftensammlung für eine Initiative oder Wählen und Abstimmen – weiterhin voll im Saft stehen, wächst mit der digitalen Partizipation auch ein starker neuer Ast heran.

Online nie ohne offline

Aber nun zu den Gründen, die für den Einsatz von mehr Civic Tech sprechen. Der Kontakt und Austausch zwischen Staat und der Bevölkerung erfährt mehr Transparenz, weil er durchwegs öffentlich zugänglich ist. So rücken Bevölkerung und Entscheidungsträgerinnen und -träger näher zusammen und das Vertrauen in die Politik wird erhöht. Weiter können sich durch Civic Tech-Tools auch Menschen beteiligen, die andernfalls von einer Mitsprache ausgeschlossen wären – also zum Beispiel Jugendliche, die unter 18 Jahre alt sind. Das ist gerade hinsichtlich der Tatsache, dass Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren ihre politischen Rechte am seltensten wahrnehmen, relevant. Können sich Jugendliche früh und wirksam am politischen Prozess beteiligen, ist die Chance höher, dass sie dies später weiterhin tun, wie zum Beispiel eine Studie des FORS belegt. Weiter gelangen durch Kommunikationsmittel wie digitale Foren neue, innovative Ideen und Lösungsansätze auf die politische Agenda. Nicht zu vernachlässigen ist gleichzeitig der Offline-Link. Online und offline müssen immer zusammen gedacht werden, damit eine optimale Übertragung digitaler Partizipation ins Analoge funktioniert. Dieser Link ist für das Vertrauen in Civic Tech-Angebote entscheidend. Der persönliche Kontakt bleibt im Zeitalter der digitalen Demokratie also genauso relevant.

Vielfalt an Civic Tech-Instrumenten

Oftmals wird gefragt, ob es denn nun das eine Civic Tech-Tool schon gibt. Derzeit bestimmt jedoch ein Wettbewerb an Instrumenten die Civic Tech-Landschaft der Schweiz. Der Dachverband Schweizer Jugendparlamente DSJ ist zum Beispiel mit engage.ch, einer Partizipationsplattform für Jugendliche, in diesem Bereich vertreten. Weiter sind in der Schweiz zurzeit digitale Dorfplätze, wie sie etwa von Crossiety mit Partnergemeinden erarbeitet werden, auf dem Vormarsch. Das Interesse an Crowdsourcing-Plattformen wie beispielsweise Nextzürich, Inilab und Wecollect wird ebenfalls immer grösser. Auch gibt es vermehrt Städte, die in der Stadt- und Raumentwicklung auf die Verwendung von digitalen Tools setzen. Ein Vorreiter ist diesbezüglich unter anderem «Züri wie neu». Die digitale Partizipation ersetzt folglich nicht die analoge – sie erweitert sie. Der Schweizer Demokratiebaum erhält einen neuen Ast und somit neue Möglichkeiten der Mitsprache.

Jetzt bereits vormerken: Civic Tech-Konferenz des DSJ in Bern, 31. März 2020.

Jasmin Odermatt, Bereichsleiterin Grundlagen Politische Partizipation, DSJ (Dachverband Schweizer Jugendparlamente), info@dsj.ch 


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