Ein Projekt des Schweizerischen Gemeindeverbands.
Un projet de l’Association des Communes Suisses.
Un progetto dell’Associazione dei Comuni Svizzeri.

Partizipation ist nicht besser - Sie ist wichtig!

17.06.2020

Zeno Steuri, Leiter kinderkraftwerk.ch

In der Fragerunde zu einer Präsentation der partizipativen Schulhausplanung in Breitenbach, Kanton Solothurn, wurde ich gefragt, ob durch die Beteiligung der Schulkinder in der Schulhausplanung nun ein besseres Projekt resultiert, als wenn Architekten das geplant hätten.

Ich habe darauf geantwortet, dass diese Frage für die Beteiligten nicht relevant ist. Wichtig ist, dass sie als direkt Betroffene ihre Erfahrungen, Bedürfnisse und Ideen zur Raumplanung und Gestaltung für ihre neue Schule einbringen konnten und diese im Wettbewerb berücksichtigt wurden. Im Folgenden will ich aus der Praxis der Kinderpartizipation meinen Standpunkt erläutern.


Partizipationsverständnis

Bis heute habe ich nicht erlebt, dass Schulkinder die Beteiligung und Mitsprache bei einer Schulhausplanung eingefordert haben. Das mag viele Gründe haben. Meine These ist, dass Mitsprache geübt und auch erlernt werden muss, denn es ist ein demokratischer Prozess, der auch die Fähigkeit zum Konsens erfordert. Dazu braucht es auch Strukturen und Gefässe, in denen ein solcher Prozess den nötigen Raum hat. Den letztlich geht es auch immer die nötigen Ressourcen, Zeit und Geld. In der Schweiz stehen die Chancen gut, dass sich das einmal ändern könnte. Mit dem Lehrplan21 , welcher zurzeit landesweit in vielen Kantonen in einer Einführungsphase ist, sind die Zielsetzungen hinsichtlich Partizipation unter dem Postulat der Bildung für nachhaltige Entwicklung definiert:

«Wie eine Nachhaltige Entwicklung gefördert werden kann, hängt von den jeweiligen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Verhältnissen in einem Land ab und muss gesellschaftlich ausgehandelt werden. Nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn sich Frauen und Männer, Junge und Alte an den Entscheidungsprozessen und an der Umsetzung der Entscheidungen beteiligen können.»

Wenn ich angefragt werde, mit dem KinderKraftWerk einen Beteiligungsprozess für Schulkinder zu organisieren, steht für mich eine Frage im Vordergrund: Ist gesichert, dass die Bedürfnisse und Ideen welche aus dem Beteiligungsprozess resultieren auch in der Umsetzung nach objektiven Kriterien berücksichtigt werden? Ist das nicht gewährleistet, macht Partizipation aus meiner Sicht wenig Sinn.

Wenn in der Schweiz ein neues Schulhaus gebaut werden soll, wird in der Regel ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Im Vorfeld dazu beauftragt die Gemeinde Fachleute um eine Bedarfsanalyse zu erstellen. Diese befragt Bildungsverantwortliche und zuständige Gemeinderäte zu ihren Bedürfnissen und Prognosen zur Entwicklung der Schülerzahlen für die Zukunft. Daraus ergibt sich ein Raumbedarf, welcher in einem Baubeschrieb festgehalten wird. Das ist die eigentliche «Bestellung» der Gemeinde. Danach müssen sich die Architekten bei der Planung richten. Das Problem in diesem Prozess ist, dass die Kinder, welche einen grossen Teil ihrer Zeit in der Schule verbringen, nicht zu ihren Erfahrungen, Bedürfnissen und Ideen zur Raumplanung und Gestaltung befragt werden. Die Gemeinde Breitenbach wollte das ändern und hatte beschlossen, die Kinder bei der Erstellung des Baubeschriebs zu beteiligen.

Der Prozess der Beteiligung von rund 400 Schulkindern von der Kindergarten- bis zur Sekundarstufe erstreckte sich über 3 Monate und hatte drei Stufen:

  1. Begehungen und erfassen der Erfahrungen mit den bestehenden Schulanlagen
  2. Formulierung von Visionen für eine neue Schule
  3. Erfassung der Ideen in Zeichnungen, Modellen und Protokollen

Aus diesem Prozess entstand ein Bericht, der die Bedürfnisse an eine neue Schulanlage in Schwerpunkten zusammenfasste. Die Ergebnisse der Workshops zur Gestaltung der Innen- und Aussenräume wurden nach übereinstimmenden Mehrheiten gewichtet. Die Leitfragen waren:

  • Wie erlebt ihr die Innen- und Aussenräume eurer Schule?
  • Was macht ihr wo?
  • Was könnt ihr nicht machen?
  • Was würdet ihr anders gestalten und warum?

Im Vordergrund standen immer Aktivitäten und Abläufe im Schulalltag, die eine Ursache in der Gestaltung haben. Aus den Ergebnissen konnten wir ablesen, was die Architekten in der Gestaltung und Raumplanung berücksichtigen mussten.

Die Beteiligung am Mitwirkungsprozess wurde zum Gesamtprojekt der Schule und Teil des Unterrichts. Die Erziehungsberechtigten wurden dazu im Vorfeld schriftlich informiert. Waren sie oder ihre Kinder mit diesem Bildungsinhalt nicht einverstanden, bestand die Möglichkeit dem Regelunterricht in einer Parallelklasse zu folgen, da die Workshops zeitlich abgestuft stattfanden.

Soweit so gut. Doch was waren die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses? Einige Beispiele:

Raumplanung
Ein Vorschlag der Vorstudie zum Architekturwettbewerb war, die Primarschule mit dem Kindergarten zu einem Schulhauskomplex zusammen zu legen. Wir haben diesen Vorschlag auch den Schülern vorgelegt. Aus Erfahrung wussten sie, dass das keine gute Idee ist, weil die zwei Schulstufen unterschiedliche Tagesabläufe hatten. Spielende und schreiende Kindergartenkinder auf dem Pausenhof, während die Primarschule sich auf einen Test konzentrieren muss – geht gar nicht. Im Modell zeigt eine Gruppe Primarschulkinder wie sie das Problem mit einem Schulgebäude mit zwei unterschiedlichen Eingängen und Pausenhöfen lösen würden. Die Architekten kamen zum Schluss, dass es zwei Baukomplexe mit bedürfnisgerechter Gestaltung werden mussten. Das haben auch die Lehrpersonen, die wir in einem separaten Workshop befragt haben, sehr begrüsst.
Aus dem Beteiligungsprozess mit den Schulkindern sind über 30 Teilprojekte im Aussenraum entstanden, die meist in eigener Regie von den Lehrpersonen mit den Schülern realisiert werden. Partizipation wurde in Breitenbach zum Imperativ! Für den Neubau mussten dutzende Bäume unterschiedlicher Grösse und Art gefällt werden. Auf Empfehlung der Landschaftsarchitekten wurden diese eingelagert und für Möblierungen im Aussenraum aufgehoben. Im Werkunterricht werden daraus Schneidebretter, Zaunlatten für den Kindergarten, Balken für ein Chill-Pavillon, Teile für Sitzelemente, welche die Sekundarschule in Zusammenarbeit mit einem Künstler gestaltet du vieles mehr.

Innenräume
Auch die Schulgebäude der KTS, welche in Breitenbach erhalten bleiben, werden nach den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler umgebaut. So erhalten alle Schüler endlich einen eigenen Spint und die trostlosen Flure werden farbig gestaltet und mit gemütlichen Sitzgruppen ausgestattet, die sich die Schüler im Brockenhaus selber besorgen dürfen. Aus einer ehemaligen Abwartswohnung wird ein zentral gelegenes Lehrerzimmer, das für alle schnell und leicht erreichbar ist. Ein grosser Wunsch der Lehrpersonen und Schüler. Auch ein Fahrstuhl für Kinder mit einer Behinderung fand Platz und ermöglicht einen Barrierefreien Zugang. Die neue Primarschule wurde mit abwechslungsreichen Verkehrsflächen und Arbeitsnischen gestaltet. Die Wände sind für grossflächige Panels vorgesehen, die ebenfalls von den Schülern im Werkunterricht gestaltet werden und von kommenden Schülergenerationen wieder erneuert werden können.

***

In Breitenbach steht heute eine neue Schule, mit der sich die ganze Gemeinde identifiziert. Das wurde schon bei der Grundsteinlegung deutlich die überraschend gut besucht war. Allen ist klar, dass eine Schule ein Zweckbau ist und einen optimalen Schulbetrieb Garantieren muss. Dass es nun auch ein lebensfreundlicher Raum wird, ist der Gemeinde zu verdanken, welche den Mut hatte, zuerst die Kinder zu befragen, bevor sie den Architekten den Auftrag erteilten. Ermutigen sie die Verantwortlichen an ihrem Wohnort es ihnen gleich zu tun. Die Kinder werden es ihnen danken!

 
 

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