04.05.2018
Gastbeitrag von Rebecca Mörgen und Prof. Dr. Peter Rieker (Institut für Erziehungswissenschaft, UZH)
Die Fragen der Mitwirkung und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in ihren alltäglichen Handlungskontexten finden in den letzten Jahren zunehmende Beachtung. Dementsprechend wurden in den letzten Jahren auf der Ebene der Gemeinden vermehrt Partizipationsgremien geschaffen, in denen Kinder und Jugendliche demokratische Prozesse kennenlernen, einüben und selbst aktiv mitgestalten sollen.
In demokratisch verfassten Gesellschaften gilt es als erstrebenswert, die Bürgerinnen und Bürger in Angelegenheiten und Entscheidungsprozesse, die sie betreffen, einzubinden. Dies setzt den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und öffentlichen Räumen ebenso voraus, wie die Fähigkeit zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe. In diesem Zusammenhang finden Fragen der Mitwirkung und Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in ihren alltäglichen Handlungskontexten in den letzten Jahren zunehmende Beachtung. Man verspricht sich davon nicht nur die Möglichkeit, Wünsche und Bedürfnisse Heranwachsender besser berücksichtigen zu können, sondern auch eine früh ansetzende Befähigung zur demokratischen Mitwirkung. Dementsprechend wurden in den letzten Jahren auf der Ebene der Gemeinden vermehrt Partizipationsgremien geschaffen, in denen Kinder und Jugendliche demokratische Prozesse kennenlernen, einüben und selbst aktiv mitgestalten sollen. Gleichzeitig ist in pädagogischen Handlungsfeldern immer auch zu berücksichtigen, dass Partizipationsprozesse durch Ungleichheitsverhältnisse zwischen den Erwachsenen und den Kindern und Jugendlichen gekennzeichnet sind, die sowohl mit Herausforderungen als auch Chancen einhergehen können. Diese werden insbesondere dann deutlich, wenn die Einbindung von Kindern und Jugendlichen in Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen in Bezug auf sie betreffende Angelegenheiten erfolgt.
Im Folgenden wird sich auf die Frage der Partizipation von Kindern im Kontext der Gemeinde konzentriert – konkret geht es um Aktivitäten eines Kinderrates sowie um die offene Quartiersarbeit. Die Ausführungen stützen sich auf eine Untersuchung zur Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz, die zwischen 2012 und 2014 am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich im Auftrag von UNICEF Schweiz durchgeführt wurde. [1]
Möglichkeiten der Mitentscheidung und die Frage der Strukturierung durch Erwachsene
Das Erleben von Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zeigt sich vor allem in kommunalen Kontexten. So berichtet Melanie über eine Veranstaltung, die sie im Kinderrat organisiert haben:
Und dann sind wir eben auf die Idee mit dieser Veranstaltung gekommen und dann haben wir als erstes im Kinderrat so Brainstorming gemacht, was denn die Stolpersteine sind, wo wir dieses Projekt veranstalten könnten, wie viele Kinder ungefähr kommen sollten, wie viele Workshops und welche, ja. […]. Und dann haben wir abgestimmt, wer welchen Workshop übernimmt, dort haben wir einen Zeitplan gemacht, wann wir Pausen machen und so und eine Materialliste, was wir alles für welche Posten brauchen. (Melanie, 12 Jahre)
In dieser Schilderung erscheint die Erzählerin als kompetente und aktive Mitorganisatorin einer von ihr mitentworfenen Veranstaltung. Obwohl in dieser Schilderung eine Strukturierung der Teilhabe durch Erwachsene durchscheint, stehen die Kinder als Akteurinnen und Akteure deutlich im Vordergrund. Erst in den Schilderungen ihrer Freundin Sabrina wird die strukturierende Rolle der sozialpädagogischen Fachkraft explizit, die den Kinderrat in der Gemeinde leitet. Sie erzählt etwa, dass die „Hauptidee“ zwar die Fachkraft gehabt habe, aber „wir konnten dann entscheiden, ob wir einverstanden sind“ (Sabrina). Mitunter wird aber auch betont, wie voraussetzungsvoll diese Partizipationsprozesse sind, mit welch großer Verantwortung sie verbunden sind und dass sie tendenziell auch mit Überforderung einhergehen können – dann etwa, wenn in kurzer Zeit eine weitreichende Entscheidung getroffen werden muss. Vor diesem Hintergrund werden Strukturierung, Anleitungen und Entscheidungen durch Erwachsene als hilfreich und entlastend beschrieben. Ihnen wird zentrale Bedeutung zugeschrieben, wobei nicht immer klar wird, inwieweit Kinder sie auch als Infragestellung ihrer aktiven Teilhabe an Entscheidungsprozessen erleben.
Weniger ambivalent werden Erwachsene dann erlebt, wenn es nicht um die Organisation gremienförmiger Partizipationsprozesse geht, für deren Funktionieren sich pädagogische Fachkräfte verantwortlich fühlen, sondern um kleine Projekte, die Kinder z.B. im Rahmen der Quartiersarbeit umsetzen.
Mit Adelina, Layla und Dinorah habe ich eine Hutparty organisiert [W]ir fragen dann Amelie, dürfen wir etwas organisieren, nachher sagt sie ja, nachher sagen wir einfach, was es ist, und nachher machen wir so eine Liste, grosse Liste, mit Wochen, wie viel Zeit wir haben. […] Solche Sachen machen wir einfach. (Daniel, 10 Jahre)
Skizziert wird hier ein von den Kindern weitgehend selbstständig realisierter Planung-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozess, wobei die Kinder sich als diejenigen sehen, die die Gestaltungshoheit haben, während Erwachsene lediglich als Assistierende fungieren, die z.B. die Bereitstellung der benötigten Ressourcen sicherstellen.
Zusammengenommen scheint die Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler Ebene durch widersprüchliche Aspekte geprägt zu sein. Einerseits erleben sich Kinder in diesen Kontexten als mitentscheidende Akteure und Akteurinnen, die eigene Projekte gestalten und umsetzen und auf diese Weise Selbstwirksamkeit und Kompetenzzuwachs erleben. Andererseits machen sie teilweise die Erfahrung, dass pädagogische Fachkräfte sich nicht auf eine assistierende Begleitung beschränken, sondern eine strukturierende Rolle einnehmen und sich bemühen, Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen zu vermitteln. Die angemessene Balance zwischen diesen Aspekten scheint besonders wichtig dafür zu sein, dass Kinder und Jugendliche sich nicht demotiviert und enttäuscht abwenden und sich mit steigendem Alter zunehmend weniger engagieren.
[1] Rieker, P./Mörgen, R./Schnitzer, A./Stroezel, H. (2016): Partizipation von Kindern und Jugendlichen. Formen, Bedingungen und Möglichkeiten der Mitwirkung und Mitbestimmung in der Schweiz. Wiesbaden: Springer VS.
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