Die 700-Seelen-Gemeinde Blauen stand im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts vor grossen Herausforderungen: Kaum neue ZuzügerInnen und daher stagnierende EinwohnerInnenzahlen und damit verbunden, eine fortschreitende Überalterung der Bevölkerung. Dazu kam der grösste Steuerfuss im gesamten Bezirk. «Das muss sich ändern», sagte sich der Gemeinderat mit einer innovativen Idee: Impulse sollten geschaffen werden, um Blauen für junge Familien mit Kindern attraktiv zu machen. Damit sollten die demographischen Strukturdefizite der Gemeinde abgebaut und der Finanzhaushalt gestärkt werden: Die «Vorwärtsstrategie» des Gemeinderats war geboren.
Im April 2012 informierte der Gemeinderat die Bevölkerung über die strukturellen Probleme der Gemeinde und schlug vor, diese mit einem partizipativen Prozess zu lösen. Im gleichen Jahr wurde der erste Workshop durchgeführt, an dem etwa 60 bis 80 Personen teilgenommen haben. Dort stellte der Gemeinderat seine Ideen zur Zukunftssicherung von Blauen vor und legte seine Projektplanung dar. Einige Monate später wurde die Bevölkerung zu einer Umfrage eingeladen, in welcher sie ihre Meinung zu Stärken, Schwächen und Entwicklungschancen der Gemeinde äussern konnte.
Im Oktober 2012 wurde dann der 2. Workshop durchgeführt, in dessen Zentrum die Auswertung der Umfrage und die Bestimmung der Strukturdefizite des Dorfes standen. An diesem Anlass wurden fünf Defizitfelder identifiziert, von denen sich zwei als Hauptanliegen herauskristallisierten: Die Verbesserung der unzureichenden Anbindung des Dorfes an den öffentlichen Verkehr einerseits, und ein kommunales Leistungsangebot, das vermehrt den Bedürfnissen jüngerer Familien entsprechen würde. So sollte unter anderem eine Lösung für den einzigen Laden im Dorf gefunden werden, der bald geschlossen werden sollte. Ausserdem sollte eine Tagesbetreuung für Kinder berufstätiger Eltern entstehen und ein grösserer Begegnungsraum für Jugendliche eingerichtet werden. Zur Bearbeitung der fünf Defizitfelder wurden Arbeitsgruppen gegründet, in denen jeweils fünf bis sechs am jeweiligen Thema interessierte Personen aus der Bevölkerung und ein Gemeinderat als primus inter pares vertreten waren.
Eine dieser Arbeitsgruppen betreute das Projekt «Gemeindezentrum»: Aus einem abrissreifen, ehemaligen Bauernhaus in kommunalem Besitz sollte ein neuer Treffpunkt für Jung und Alt werden. Die Bedürfnisse lagen auf der Hand: Das Begegnungszentrum sollte Platz schaffen für einen neuen Dorfladen mit Bistro, die Kindertagesstätte unterbringen und das Dorfleben mit einem kommunalen Versammlungsraum, dem «Dorfstübli», bereichern. Nach intensiver Planung lag der Entwurf für die Umgestaltung sowie die neue Nutzung des alten Bauernhauses im Frühjahr 2015 vor: Im Dachgeschoss sollte eine 3,5-Zimmerwohnung eingerichtet werden. Unterhalb der Wohnung sollte das «Dorfstübli» seinen Platz erhalten, daneben der Gemeinderat sein neues Büro. Im Erdgeschoss waren der Dorfladen mit seinem Bistro und der Standort für die Kita geplant. Der Projektentwurf durchlief sodann die kommunalen Genehmigungsschritte und wurde schliesslich im September 2015 an einer Gemeindeversammlung genehmigt.
Im August 2017 wurden der Dorfladen, das Bistro und die Kita in Betrieb genommen. Das «Haus der Begegnung» ist so zu einem Ort zum Wohnen, Verweilen, Einkaufen und Plaudern für jegliche Generationen geworden. Die EinwohnerInnen treffen sich nun gerne im «Dorfstübli» und im Bistro: bei schönem Wetter wird oft «usegstuehlet».
Das Projekt geniesst einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Dies ist einerseits der intensiven Kommunikation während seiner ganzen Entstehungsprozesses zu verdanken, aber auch der «konstruktiven Streitkultur» zwischen den Behörden und der Bevölkerung: Der Gemeinderat stellte sich stets kritischen Fragen einzelner Einwohnerinnen und Einwohner, hinterfragte dabei aber auch immer seine eigene Position. So gab es kurz vor Baubeginn eine Einsprache zur Fassadengestaltung des Neubaus. Im Disput zwischen den Einsprechenden und dem Gemeinderat ergab sich eine gütliche Einigung und die Fassade wurde entsprechend angepasst. Ein derartiger Prozess sei zwar anspruchsvoll und zeitintensiv, führt Gemeindepräsident Dieter Wissler aus, sei aber der einzige vernünftige Weg zu kommunalem Konsens und Mehrheitsbildung. Mitreden, mitgestalten und mitentscheiden waren die Schlüsselwerte zum Gelingen des «Hauses der Begegnung». Blauen ist somit ein Musterbeispiel für gelungene Deliberation.